Wort zum (Wahl-) Sonntag

Sonntag, 13. September 2020 - Es ist ein wundervoller Sonntagmorgen in Düsseldorf. Die Luft ist noch etwas frisch von der Nacht aber die Sonne setzt sich mehr und mehr durch und der Himmel ist blau. Nach den ersten zwei Tassen Kaffee im Bett, entscheide ich mich dafür, heute mal ausnahmsweise Brötchen zu holen. Schon länger verzichte ich auf ein „richtiges Frühstück“, daher freue ich mich schon sehr auf ein gekochtes Ei und knusprige Brötchen. Ungeduscht ziehe ich meinen Lieblings-Hoody an, setze die Sonnenbrille auf und verknote die von meiner Mum genähte Maske am Hinterkopf. In Summe perfekte Voraussetzungen für einen tollen Start in den Tag!


Noch etwas zerknittert schlendere ich den Park entlang. Herrchen und Frauchen gehen mit ihren flauschigen Vierbeinern spazieren, eine meiner Nachbarinnen hebt netterweise unachtsam weggeworfene Kronkorken auf, um sie fachgerecht zu entsorgen. Auf der großen Wiese spielen einige Jungs Cricket. Heute ist übrigens Kommunalwahl.

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Ca. 50m vor mir läuft ein Mid-30er in lässiger 3/4 Tarnhose, seine gelben Beats Kopfhörer sitzen fest auf seinen Ohren und ein Messengerbag hängt lassiv über der rechten Schulter. Und dann passiert etwas, das in mir eine Mischung aus Entsetzen, Zorn, Angst, Wut, Ohnmacht und Verachtung auslöst.


Am Cricket-Spiel vorbeilaufend, ruft der Tarnhosenträger zu den indischen Spielern:
„In Deutschland spielt man Fußball!“


Ein Junges Mädchen, dass die Sonne genießt und das Spiel von einer Parkbank beobachtet, beweist blitzschnelle Courage und versucht den Mann zur Rede zu stellen, ruft ihm mehrfach hinterher, wird aber vollständig ignoriert. Ich laufe einen Schritt schneller und nehme mir fest vor, den Mann zur Rede zu stellen, der scheinbar ebenfalls die Geschwindigkeit erhöht hat, die Straßenseite wechselt und ohne Maske in einer Bank verschwindet. Irgendwie erleichtert, dass die persönliche Konfrontation ausbleibt, bin ich entsetzt über das Gefühl der Ohnmacht und der Angst. Bin erstaunt und dankbar für die Reaktion des netten Mädchens und mache mir noch lange Gedanken über diese Situation.


Beim Bäcker bestelle ich mir mehr Brötchen als ich essen kann und nehme mir für den Rückweg vor, der Unbekannten für ihren Mut und das Aufstehen zu danken. Leider ist sie in ein Telefonat vertieft und ich fühle mich beschämt, dass ich der widerwärtigen Situation auf dem Hinweg zum Bäcker nichts positives beigetragen habe.


In meiner Wohnung angekommen, verschlinge ich neben meiner Kaffeemaschine stehend mehr Brötchen als ich essen kann, trinke mehr Kaffee als gut für mich ist und merke, dass ich was tun muss. Ich fange an, diese Zeilen zu schreiben und realisiere, dass es nicht ausreicht, mir den Frust von der Seele zu schreiben - Weil es hier nicht um mich geht! Es geht darum, wie wir Menschen miteinander umgehen, wie wir miteinander interagieren. Darum, in was für einer Gesellschaft wir miteinander leben wollen und um jedes kleinste Signal gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Ich schnappe mir meine Kamera und gehe zum Spielfeldrand, wo die Auswechselspieler gemütlich auf dem Boden sitzen, lachen und hervorragenden Spielzügen applaudieren.

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Ich schildere den Jungs, dass ich eben Zeuge der Situation geworden bin und dass ein solches Verhalten von diesem Tarnhosen-Typen nicht tolerierbar ist und rein gar nichts mit demokratischen Werten zu tun hat. Es ist widerwärtig, wie Fremdenfeindlichkeit mit subtilen Äußerungen in den Alltag integriert wird. Wie rechtes Gedankengut und Hetze als normale Begleiterscheinung von vielen akzeptiert wird. Schon nach kurzer Zeit unterbrechen die Spieler ihr Spiel und ich bin umgeben von mehr als 20 Personen, die mir aufmerksam zuhören.

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Die weiteren Gespräche sind herzerwärmend und machen mich sehr nachdenklich. Ich bin dankbar, für die Gespräche und dass die Jungs die Äußerung von dem Typen scheinbar an sich abprallen lassen, den Tag genießen und sich über die Reaktion der jungen Dame freuen. Zugleich erschüttert es mich, dass sie so routiniert im Umgang mit solchen Situationen sind. Wir sind uns einig, dass diese Entwicklung nach rechts kein rein deutsches Phänomen ist und dies leider leider in vielen Teilen der Welt zu beobachten ist. Dies darf aber nicht Grund dafür sein, diese Situation zu akzeptieren!

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Es ist für mich unglaublich, dass es erforderlich ist, solche Zeilen zu schreiben! Wenn man sich fragt, wie es früher dazu kommen konnte, dass Nazis die Macht ergriffen haben, dann auch deshalb, weil Hetze und Hass auf subtile Weise alltagstauglich geworden sind.

Haltet die Ohren und Augen auf, sprecht Dinge an, akzeptiert keine „kleinen Witzchen“ mit rechter Tendenz, sprecht mit Freunden über Situationen, die euch auffallen. Lasst nicht zu, dass es normal wird Reichsflaggen im Fernsehen oder auf Demos zu sehen. Rassismus, Hetze und rechte Gewalt greift nicht nur andere Menschen und Kulturen an sondern die gesamte Gesellschaft .

#wortzumsonntag #standupagainstracism